„Atem“ von Samuel Beckett ist das kürzeste Theaterstück der Welt. Es ist 35 Sekunden lang, besteht aus zwei Schreien, einem Atemzug, Unrat und etwas Licht. Es hat einen Anfang, eine Mitte, einen Schluss und misst das gesamte menschliche Dasein in einer halben Minute aus. Wir, die Gruppe FUX, bringen es gemeinsam mit dem Stadttheater auf die Bühne. Wir nehmen uns dafür einen ganzen Theaterabend. Wir blasen es auf, auf 90 Minuten, hauchen „Atem“ neues Leben ein. Wir füllen den entstehenden Raum mit dem ganzen großen Theaterapparat: Schauspieler, Musiker, Sänger, Bühnenmaschinerie – um der Leere zu begegnen.

Becketts „Atem“ ist ein ironischer Sketch über unseren kurzen Aufenthalt hier auf dieser Welt. Wir nehmen diese in die Jahre gekommene Provokation und schmeißen sie zurück auf die Bühne, von der sie sich einmal lossagen wollte. Wir beginnen beim Kleinstmöglichen, um – im Als-Ob nur, aber immerhin – etwas Neues aufbauen zu können. Denn: „Aus der Kräfte schön vereintem Streben erhebt sich wirkend erst das wahre Leben.“


Presse & Auszeichnungen
Aufführungen
Konzept
  • PRESSE & AUSZEICHNUNGEN

    Nominiert als beste deutschsprachige Nachwuchsinszenierung in der „Theater heute“-Kritikerumfrage 2016


    »Das Theaterkollektiv FUX zeigt im Stadttheater mit seiner Stückentwicklung ‚Langer Atem‘, dass es sich lohnt, das Leben in all seinen Facetten sinnlich wahrzunehmen. (…) Entstanden ist daraus ein 90-minütiger, äußerst unterhaltsamer und kompakter Theaterabend. Die Stückentwicklung ‚Langer Atem‘ hatte am Samstag im ausverkauften Großen Haus des Stadttheaters umjubelte Premiere und traf auf ein Publikum, das sich bereitwillig auf diese für viele neue Theatererfahrung einließ (…) unter anderem auch deshalb, weil FUX ordentlich frischen Wind durch das Theater wehen lassen und dabei fast den gesamten Theaterapparat aufwirbeln. (…) Es ist das Ritualisierte, das Sinnlose im Sinnlichen, das die Zuschauer den Atem anhalten lässt. (…) Fux haben ein bis ins kleinste Detail, sogar bis zu den schwarzlackierten Fingernägeln der Protagonisten, perfekt komponiertes Bild geschaffen. (…) Wer mal wieder frische Theaterluft schnuppern will, dem sei ein Besuch der weiteren Vorstellungen im Großen Haus empfohlen.«

    Gießener Allgemeine, 09.03.2015


    »Gießener Theaterexperiment ‚Langer Atem‘ am Premierenabend bejubelt. Erwartungsvolle Gespanntheit herrschte im voll besetzten Haus, als ein für Gießen bislang einmaliges Theaterexperiment seinen Lauf nahm: Die freie Szene hatte sich des Stadttheaterapparates bemächtigt und zu einer ‚Stückentwicklung‘ eingeladen. Aus der Sicht der Macher ist das Experiment geglückt: Jubilierend beklatschten die Zuschauer am Ende eine völlig sinnfreie Aufführung. In anderthalb Stunden wird unterhaltsamer, durchaus witziger, amüsanter Nonsense geboten. (…) Hochkonzentriert sind die Schauspieler bei der Sache, die ihre schwierigen Einsätze meistern und sich allesamt als vorzügliche Sprecher ausweisen. (…) In einer stark rhythmisierten Sprechweise reden Anne-Elise Minetti, Mirjam Sommer, Petra Soltau, Milan Pesl, Maximilian Schmidt, Lukas Goldbach, Rainer Hustedt und Stephan Dorn nacheinander, miteinander, gegeneinander. Es ist ein schier endloser Redestrom, und seine Themen sind so vielfältig wie unzusammenhängend (…) Theaterexperiment, schön und gut, kann man sich ja mal ansehen. Aber das nächste Mal geht ein anderer hin.«

    Gießener Anzeiger, 09.03.2015


    »Da hat sich doch das schlaue Theaterkollektiv FUX wirklich etwas einfallen lassen! ‚Langer Atem – Stückentwicklung‘, das ist absurdes Theater wörtlich genommen und mit dem Ensemble des Stadttheaters Gießen flott umgesetzt. (…) Das Ergebnis: 90 Minuten pointenreiche und genau durchkomponierte Unterhaltung, allerdings mit einigen Längen und Wiederholungen im Mittelteil. Dafür aber wunderbare Schauspieler (Inszenierung: Falk Rößler und Nele Stuhler von FUX), wunderbare Musiker und Sänger (Leitung Florian Ziemen und Martin Gärtner), wunderbare Kostüme (Kathi Sendfeld) und ein wunderbares Bühnenbild (Lukas Noll). Zum Schlussapplaus ein gut gelauntes Publikum auf der einen und strahlende Akteure auf der anderen Seite. (…) Beachtliches Können zeigen die acht Schauspieler, wenn sie als Ensemble fast im antiken Sinn rezitieren. (…) Ein besonderes Highlight sind die Fantasiekostüme, die geschminkten Gesichter und die stylish fixierten Frisuren. Die hübsche Staffage ändert sich, zunächst kaum bemerkbar, im Lauf des Stückes. Wie das Leben eben so spielt: Die Haare werden länger, auch die Hemdsärmel, die Mode ändert sich, und so trägt beispielsweise Petra Soltau zum Schluss einen roten Gürtel, der sie fast zu Boden drückt.«

    Wetzlarer Neue Zeitung, 10.03.2015


    »Die Gegebenheiten des Theaters nutzen, das war erklärtes Ziel und das tut FUX mit sichtbar großem Spaß. Zunächst wird die schräg stehende Vorderbühne ausgiebig genutzt für sprachlich ausgefuchste Deklamationen und rhythmisiertes Gehen, dann steht die in Nebel getauchte Hauptbühne im Zentrum, auf der schließlich noch ein kleiner Guckkasten mit dem 16-köpfigen Extraextrachor auftaucht (…) Dabei verändern sich die Akteure allmählich: die Haare geraten aus den Fugen, ein Hut wird immer höher, eine Fliege immer größer, ein Gürtel immer breiter. (…) Symbol für die vergehende Zeit, die bei Beckett immer eine zentrale Rolle spielt, plus dem lebenswichtigen Atem: beim Sprechen, beim Singen, beim Instrumentenblasen. (…) Das Premierenpublikum war begeistert.«

    FRIZZ-Magazin, April 2015

  • AUFFÜHRUNGEN

    07.03.2015 / Stadttheater Gießen, Großes Haus (Premiere)
    21.03.2015 / Stadttheater Gießen, Großes Haus
    06.04.2015 / Stadttheater Gießen, Großes Haus
    16.04.2015 / Stadttheater Gießen, Großes Haus
    02.05.2015 / Stadttheater Gießen, Großes Haus
    06.06.2015 / Stadttheater Gießen, Großes Haus

  • KONZEPT

    „Atem“ von Samuel Beckett ist das kürzeste Theaterstück der Welt. Es besteht aus zwei Schreien, einem Atemzug, Unrat und etwas Licht. Einem Anfang, einer Mitte und Schluss. Ob als abgründige Metapher oder leichtfertig dahingekritzelter Sketch: in 35 Sekunden misst es das gesamte menschliche Dasein aus.
    Wenn das Wesentliche aber nach einer halben Minute abgehandelt ist, bleiben 89½ Minuten Raum für das, was im Wesentlichen keinen Platz gefunden hat. Ein Beginn beim Kleinstmöglichen, um – im Als-Ob nur, aber immerhin – etwas Neues aufzubauen. FUX nimmt den Unrat ernst und lässt ihn in seiner Fragwürdigkeit zu Wort kommen: Nicht als Müll, sondern als bohrende Ratlosigkeit, die sich nicht damit begnügt, bloß Dekoration zu sein.
    Gemeinsam mit dem großen Apparat des Stadttheaters Gießen – Schauspieler, Musiker, Sänger, Bühnenzauber – haucht das Theaterkollektiv Becketts „Atem“ frisches Leben ein. Sie blasen es auf zu einem großen Theaterabend. Die radikale Reduktion aus dem Jahr 1969 als Anlass für eine genüssliche Ausdehnung im Hier und Heute: Was aus den Fugen gerät, gibt den Blick frei auf das, was dahinter liegt. Es ist nicht der eine Atemzug, der alles sagt, sondern die kleine Zäsur zwischen Ein- und Ausatmen, in der das Unsagbare sich artikuliert. Eine Auseinandersetzung – wortwörtlich –, in der auch jenem wieder Raum gegeben wird, was die allseits wirkenden Verfahren der Verdichtung und Verschlankung, der Komprimierung und Optimierung im Übermaß produzieren: dem Überflüssigen. Seinem Sinn. Seiner Sinnlichkeit. Und auch seinem Aberwitz.
    Bei Beckett tätigt die automatisierte Theatermaschinerie einen einzigen Atemzug. Sie bringt das Leben auf den Punkt, indem sie seine Protagonisten ausstreicht. Daran muss der Widerstand sich entzünden. Gegen die säbelrasselnde Kurzatmigkeit unserer Zeit der „Lange Atem“: ein hintergründiges wie lustvolles Spiel mit den Theatermitteln – Schauspielern und Chor, Sprache und Musik, Raum und Licht, Form und Spektakel – die das poetische Bild heraufbeschwören, ohne sich ihm zu ergeben.

    Wenn das Stadttheater und ein junges Theaterkollektiv, das seine eigene ästhetische Handschrift bislang in der Freien Szene entwickelt hat, zusammenkommen, kann es nicht darum gehen, dass das Wilde, Abseitige, Außergewöhnliche – oder was immer man sich davon erhofft oder fürchtet – in einem Schmuckrahmen zur Schau gestellt wird. Das Theater – auch wenn es manchmal, mit Lust und List, so tut, als ob – ist kein Zirkus, keine Völkerschau, kein Bestiarium. In all seinen Verwandlungen, die es in seiner jahrtausendalten Tradition erfahren hat, ist es eines immer geblieben: Ort der Begegnung. Etwas, wo das Eine nicht ohne das Andere zu denken ist, selbst und insbesondere da, wo es Letzterem widerspricht. Eine Begegnung jenseits überkommener Dispute um dramatische, postdramatische und performative Ansätze, in der sich zeigt, was uns zusammenführt ebenso wie das, was uns auseinandertreibt, kurz: was uns bewegt. Nicht um die unterschiedlichen Perspektiven zu vereinigen, sondern um in ihren Kreuzungspunkten Raum zu schaffen für neue Sichtweisen. Auf das, was Theater kann. Und weit über das Theater hinaus.
    Mit der Produktion „Langer Atem“ öffnet sich das Stadttheater Gießen für theatrale Ansätze, in deren Zentrum weniger ein vorgeschriebener Text, das Drama, der erzählte Handlungsstrang steht, sondern eine Auseinandersetzung mit einem Thema, einer künstlerischen Perspektive auf die Welt, die alle Beteiligten mit ihren jeweils unterschiedlichen Erfahrungen und Kenntnissen einbindet und auf diese Weise eine je eigene, ganz spezifische Theatersprache entwickelt.


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